7 strategische Ansätze zur Anwendung des ‘Three Horizons’ Modells

Ich hoffe, dass meine Ausführungen im Artikel über die Innovationsstrategie für einen resilienten Mittelstand und das ‘Three Horizons Model‘ deutlich gemacht haben, warum ein Umdenken im Mittelstand erforderlich ist. Um Bestandskunden im verstärkten Wettbewerb zu behalten, neue Fachkräfte an sich zu binden und um erfolgreich in neuen Märkten zu sein, braucht man klare, smarte Strategien für ein besseres Wirtschaften. Dazu gehört ganz wesentlich auch eine nachhaltige Innovationsstrategie. Doch soll (und kann) man oft die erfolgreichen Ideen der Start-ups nicht einfach kopieren. Auch hat jedes größere Unternehmen eine bestehende Kultur, die zum Teil über viele Generationen hinweg entstanden und gewachsen ist. Nicht zuletzt ist die Kombination der Innovation aus verschiedenen Horizons eine Organisationskunst und erfordert viel Geschick.

Darum bin ich der Überzeugung, dass es nicht möglich ist, eine universale Lösung für die digitale Transformation bzw. Innovationsstrategien aufzustellen. Stattdessen fasse ich hier ein paar modulare Ansätze zusammen, die ein Resultat meiner langjährigen Erfahrung als Unternehmer, Transformationsberater und Musiker sind. Die einzelnen Module können miteinander kombiniert werden und stellen in gewisser Weise eine Arbeitshypothese bzw. eine Symbiose aus verschiedenen Welten der Start-ups, Konzernen und Kreativen dar.

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1. Zuordnung der Initiativen zu Horizons 1-3

Ich rate dringend jedem Unternehmen, groß wie klein, sich die drei unterschiedlichen Horizons der Innovation bewusst zu machen. Dazu gehört auch die Notwendigkeit, Innovation auf allen drei Horizons parallel zu betreiben. Beim genauen Hinsehen kann allein schon eine solche Klarstellung dabei helfen, die Kommunikation und Erwartungshaltung richtig zu stellen.

Allein ein Mapping von allen existierenden Projekten und Initiativen kann extrem viel Klarheit bringen (siehe illustratives Beispiel-Bild oben).

Dabei ist so ein Bild auch nicht statisch - und oft stellt man beim genauen Hinsehen fest, dass viele Unternehmen zwar im Horizon 1 und Horizon 3 bereits viel Innovation betreiben, aber gerade dabei Horizon 2 oft vergessen bzw. mit ‘Corporate Accelerators‘ (spezielle Einheiten, wo Start-ups gebrütet werden) an externe Firmen auslagern. Allerdings gerade das interne Verständnis und Erfahrung mit Methoden geht dabei verloren bzw. wird nicht in das ‘Brownfield’ (also in die bestehenden Strukturen) übernommen. Das ist allerdings essenziell, um erstens die Experimente zur Marktreife zu führen und zu skalieren, und um zweitens zusätzlich auch die dabei erlernten die Fähigkeiten in der Organisation zu verankern.


2. Einführung der flexiblen 20-Prozent-Regel zur Innovation im Horizon 2 bzw. 3

Vielen ist vielleicht noch die 20-Prozent-Regel von Google in Erinnerung - dabei durften Mitarbeiter 20 Prozent der Arbeitszeit für andere, neue Projekte verwenden. Dabei geht mir hier eher um die Frage, wie man so Ideen wie diese in mittelständischen Unternehmen kommunizieren oder verankern könnte. Gerade so einfache Regel wie diese können den Wirkungsgrad einer Organisation sowie die Motivation der Mitarbeiter*innen erhöhen, neue riskante Ideen auszuprobieren.

Allerdings braucht es oft gerade die Kern-Ressourcen einer Organisation, um Innovationen im Horizon 2 bzw. 3 anzugehen. Gerade diese stellen jedoch oft schon in Horizon 1 den Flaschenhals dar. Die Einführung einer flexiblen 20-Prozent-Regel kann hier eine Abhilfe, damit der Fokus der knappen Ressourcen auf das Kerngeschäft im Horizon 1 nicht gefährdet. Gleichzeitig fördert es auch die Motivation der Mitarbeiter*innen — denn sie können auch flexibel an der Zukunft mitbauen.

Der Trick bei der Implementierung ist es, die 20-Prozent-Regel möglichst flexibel zu gestalten und zwischen verschiedenen Prioritäten geschickt zu balancieren. Ich rate insbesondere darauf zu achten, den Mitarbeiter*innen möglichst viel Entscheidungsfreiraum zu überlassen, welche Themen sie angehen wollen oder welchen Initiativen sie sich anschließen würden. Dazu gehört es aber auch, die notwendigen Budgets - wenngleich diese knapp sein können - dafür unbürokratisch (!) bereitzustellen. Investitionen beispielsweise in nötige Tools, Reisen, Hackathons oder ggf. sogar Weiterbildungen haben in meinen Erfahrungen nach einen exponentiellen Wert für die Zukunft der Organisationen.

Darüber hinaus empfiehlt es sich, ein kleines Kern-Team zu haben, das für das Projektmanagement verantwortlich ist. Hier kann man sich viele Techniken und Vorgehensweisen aus der agilen Softwareentwicklung “leihen”, auf die ich in späteren Artikeln noch eingehen werde.


3. Einsatz Design-getriebener Innovationsprozesse

Mit neuen web-basierten Technologien und design-getriebenen Methoden lassen sich Horizon-2- und -3-Innovationen oft sehr schnell und effektiv testen, ohne viele Risiken einzugehen.

Paradoxerweise erfordern dabei solche design-getriebene Methoden mehr und mehr Aufmerksamkeit seitens des gehobenen Managements. Denn oft geht es um schnelle und radikale Entscheidungen und schnelles Experimentieren. Daher spreche ich hier auch manchmal von langsamer Innovation (evolutionär im Horizon 1) und schneller Innovation (disruptiv/experimentell im Horizon 2 und 3). Folgende Methoden setzen sich laut der Studien von InVision und McKinsey bereits in vielen Unternehmen durch und erhöhen den langfristigen Wert und die Durchschlagskraft des Unternehmens um ein Vielfaches:

  • Human-(bzw. Humanity)-zentriertes strategisches Design

  • Design Thinking

  • Wireframing

  • Rapid Prototyping

  • Piloting

Zu Thema Innovations-Design ließen sich ganze Regalmeter mit Büchern füllen. Wie man solche Methoden aber im Mittelstand effektiv einsetzen kann, betrachten wir in einem der späteren Artikel im Detail.

Allerdings vielleicht noch ein interessanter ist ein Fakt aus der letzten BCG Studie How Digital Champions Invest: 48 Prozent der Digital Champions in den USA skalieren Pilotprojekte bis hin zu operativen Lösungen. Im Vergleich dazu machen dies nur 35 Prozent vergleichbarer Unternehmen in Europa und 32 Prozent in Asien.

Es geht also darum, wie man Design-Methoden zur Innovation braucht und nicht ob.


4. Skalierung der Innovation über Ökosysteme und Communities

Oft haben Konzerne aber auch Mittelständlerinnen keine ausreichenden Ressourcen und Strukturen, um Innovation im Horizon 3 selber zu machen. Daher haben seit 2010 viele der Unternehmen in Deutschland so genannte Acceleratoren und Inkubatoren gegründet — dort werden neue, innovative Ideen von jungen Unternehmer*innen “ausgebrütet”. Ich selbst durfte selbst die Erfahrung bei Corporate Accelerators machen wie beispielsweise mit als Gründer von Toywheel beim hub:raum der Deutschen Telekom oder auch als Mentor beim METRO Accelerator.

Was mir dabei aufgefallen ist: Solche Programme werden oft nicht von Anfang an klar positioniert. Oftmals wird kein nachhaltiger Prozess definiert, wie die Innovationen den Kern des Unternehmens betreffen. Dabei kann viel Wert verloren gehen. Mit der Zeit hat sich daher METRO Accelerator immer näher in Horizon 2 und “Later Stage Start-ups” bewegt, um besseren Anschluss zum eigenen Kernbusiness zu erreichen. Auch die neue “Auflage” des hub:raum mit Fokus auf 5G/AR/VR scheint deutlich fokussierter und klarer aufgesetzt zu sein als es zu Beginn in 2012 war. Auch hier lernt man also aus Fehlern, was gut ist!

Individueller Erfolg setzt in der Zukunft oft einen kollektiven Erfolg voraus. Daher ist es wichtig, ökosystematisch zu denken, um die eigene Relevanz in der Zukunft zu erhalten.

Auf der anderen Seite geht es bei Acceleratoren und Inkubatoren nicht um reine Externalisierung der Innovation über Start-ups. Wenn man über erfolgreiches, neues Wirtschaften spricht, ist es doch in gewisser Weise ein Paradox, dass hier für den individuellen Erfolg ein kooperativer Erfolg eine strenge Voraussetzung darstellt. Doch wenn man die Methoden der erfolgreichen Start-ups wie Google, Apple oder Facebook betrachtet, leuchtet es ein, dass der Aufbau eines eigenen Ökosystems bzw. einer Plattform zur Skalierung von Innovation in der Zukunft absolut essenziell für Relevanz und Einfluss eines Unternehmens ist.

Daher finde ich es wichtig, ein gesteigertes Maß an Aufmerksamkeit von Seiten des Managements für Programme wie diese zu haben. Nur so gelingt es, das Setup nicht zu “transaktionell” zu gestalten, um möglichst viel kurzfristig zu gewinnen (zur Erinnerung: es geht oft um Horizon 3 Innovation), sondern vielmehr den Wert als “Ecosystem Builder” bzw. “Community Builder” zu sehen. Ein gutes Beispiel dafür ist Axel Springer mit APX bzw. hy. Dieses Programm hat mit dem Corporate Accelerator “Plug & Play” und der Start-up-Konferenz hy angefangen. Heute liegt der Fokus von hy offiziell auf dem Aufbau von Ökosystemen. Ganz ähnlich geht APX vor — die Kooperation zwischen Axel Springer Plug & Play und Porsche. Bei solchen Aktivitäten ist es nicht zu vernachlässigen, welchen Wert man mit dem Aufbau der Visibilität und der Marke als Anlaufstelle für neue zukünftige Ideen schafft.

Genau das machen uns die großen Start-up-Unternehmen vor — doch erfolgt das Ganze mit sehr viel Einsatz von Kapital, das an vielen Stellen sehr ineffizient eingesetzt wird. Oft geht so ein Vorgehen zudem mit zunehmendem Einfluss der externen Investoren einher.

Mittelständler wollen oft kein externes Kapital für Innovation. Die Frage lautet: Was macht man dann?

Eine Alternative für externes Kapital oder Risikokapital schafft ein kooperatives Vorgehen, also durch das Zusammenschließen in Interessenverbände (darin war Deutschland bekanntlich seit vielen Jahrzehnten besonders stark). Auf Neudeutsch könnte man das auch den Aufbau von Communities und Ökosystemen sprechen — auch hier war Deutschland in den letzten 50 Jahren extrem stark. Allerdings sind viele der Strukturen mittlerweile sehr bürokratisch und es fehlen neue, innovative Konzepte, um effektive Zusammenarbeit und Aufbau von Standards zu ermöglichen.

Durch einen Aufbau von eigenen Ökosystem und Communities lassen sich die Interessen von kleineren Unternehmen deutlich besser gemeinsam bündeln. Gleichzeitig lassen sich dadurch die Kosten & Risiken der Innovation in Horizon 3 “auf mehrere Schultern” verteilen. Hier sehe noch extrem viel Potenzial und freue mich sehr, wenn es in Zukunft noch mehr mutige Unternehmen gibt, die gern gemeinsam vorgehen würden oder gerne gemeinsame Pilotprojekte starten möchten!


5. Übernahme von externen Innovatoren — 'Corporate Venturing'

Falls man die notwendigen Ressourcen und Management-Kapazitäten hat, kann auch der Weg über Übernahme von externen Innovator*innen spannend sein. Falls man, wie im oben in Ansatz 3 beschrieben wird, bereits einen Accelerator oder Inkubator aufgebaut hat und ggf. damit auch ein Investment-Vehikel hat, dann liegt diese Option natürlich nahe.

Allerdings darf man hier nicht den Fehler machen und annehmen, dass dies ein einfacher Weg ist. Denn die meisten Konsolidierungen dauern mehrere Jahre und schlagen oft fehl. Insbesondere aufgrund der kulturellen und menschlichen Differenzen scheitern viele dieser Versuche. Zudem läuft man auch Gefahr, gerade den gewünschten Innovationswert und die Investition wieder zu verlieren.

Daher rate ich grundsätzlich die übernommenen Innovator*innen erst separat wirtschaften zu lassen und nur graduell, gemeinsam eine Strategie zu definieren, wie man die Geschäfte nachhaltig konsolidiert und vor allem voneinander lernt.

Für Accelerator- und Inkubator-Modelle ist es auch spannend zu überlegen, wie der Fokus auf bereits etwas größere Start-ups gelegt werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn man nach Innovationen in Horizon 2 sucht. Die Start-ups im Skalierungsmodus (nach Ser. A Finanzierung) brauchen oft strategische Kooperationen, um weiter zu wachsen und hier können Ressourcen bzw. Markt-Zugänge eines Mittelständlers bzw. Corporates Gold wert bzw. sogar unabdingbar sein.


6. Aufbau & Spin-off von neuen Geschäftsmodellen — Company Building

Eine Alternative zu "Corporate Venturing“ stellt auch Company Building dar. Dabei entwickelt oder beauftrag das mittelständische Unternehmen extern neue Geschäftsmodelle. Der Mittelständler fungiert als Shareholder & Investor und bestimmt die strategische Ausrichtung und profitiert gleichzeitig von der Geschwindigkeit und Effektivität eines strukturell unabhängigen Unternehmens.

Beim Markteintritt kann es zudem seine bestehende Kundenbasis (und optional Marke) in die Waagschale werfen. Dabei ist die Transformationswirkung für die bestehenden Strukturen wahrscheinlich gering. Man sollte sich daher bei den Innovationsinitiativen darüber im Klaren sein, wie stark man einen Weiterbildungs- oder PR-Effekt erzielen und wie effektiv man neue Geschäftsmodelle entwickeln will.

Falls man selber nur eine Idee hat, aber keine Kapazitäten bzw. Skills diese selber umzusetzen gibt es ja zum Glück mittlerweile 200-300 externe Venture Builders bzw. Startup Studios, die auch oft #NewWork Ansätze verfolgen, um die besten unternehmerischen Talente flexibel in Projekte einzubinden. Ich persönlich habe auch selber so einem Modell als eine „virtuelle Expertencommunity“ mit befreundeten Unternehmern und Digitalexperten unter der Marke XY Digital Ventures aufgebaut. Aber es gibt natürlich auch die deutlich größeren und teureren “Pendants” dazu von Beratungsfirmen, wie z.B. BCG Digital Ventures. Dort hat man theoretisch den Vorteil, dass man auch andere strategische Ressourcen von BCG in die Transformationsprojekte einbeziehen kann.

Nun wollen wir mit der “New Mittelstand Co-Pilots” auch eine eigene kuratierte, unternehmerische Beratungs-Community starten — von allen Beratungsunternehmen und Beratern, die purpose-getriebene Beratung praktizieren.


7. Schnelles Kopieren der erfolgreichen Innovator*innen — ‘Copy Cat’

Zuletzt, der Vollständigkeit halber, würde ich auch gern die von Rocket Internet berühmt berüchtigte ‘Copy Cat’ Methode erwähnen, bei der man möglichst schnell die erfolgreichen innovativen Modelle aus anderen Märkten kopiert. Damit kann man sicherlich auch Innovation der Horizons 2 und 3 machen, ohne viel in eigene Forschung und Entwicklung zu investieren.

Nun, wie man allein am Kurs der Rocket Internet SE seit dem IPO in 2014 sieht ist es keine einfache Angelegenheit und es braucht extrem gute Experten, Ressourcen und oft mehr Kapital, als notwendig, um dieses Spiel mitzuspielen. Denn oft steigt man hier bereits in dem 2. Abschnitt der ‘S-Curve’ (wie oben dargestellt) ein und muss, ohne viele Erfahrungen gesammelt zu haben, recht viel Geld investieren, um ein Modell zu skalieren. Dann vor allem muss man die Versuche rigoros stoppen, falls diese nicht skalieren und weitere Pilots starten. Dieses Modell wird also zunehmend schwer zu instrumentalisieren sein.

Dabei bleibt gerade im Mittelstand oft nicht viel Zeit übrig, um die vorhandenen Ressourcen sauber vorzubereiten und auch die besten Ressourcen aus bereits laufenden Projekte zu mobilisieren. Daher rate ich von solchen Ansätzen eher ab, es sei denn man ist bereit auch in diese Fähigkeit ernsthaft zu investieren. Denn wie sagt man so schön:

Wenn du schnell sein willst, gehe langsam. (chinesisches Sprichwort)

Zuletzt ist es auch fraglich, ob so ein Ansatz wirklich dem Unternehmergeist und Mittelstandskultur entspricht. Ich habe zwar keine repräsentative Umfrage gemacht, aber bin mir recht sicher, dass die Mittelständler eigene Ideen (auch wenn diese sogar etwas weniger skalierbar sind) immer präferieren würden, bevor sie zu ‘Copy Cats’ werden - Respekt an dieser Stelle!

Abschließend - eine Inspiration für einen möglichen ersten Schritt

Oft ist es gerade schwierig den ersten Schritt in eine neue, unbekannte und innovative Richtung zu machen. In Kooperation mit unserem Partner- und Beraternetzwerk bieten wir daher zwei verschiede Arten von Tests an, so genannte “Readiness Assessments”. Diese gibt es zu verschiedenen Themen, wie z.B. Kunden-Sicht verstehen (“Market Insights“) oder Digitalisierung (“Digital Readiness”). Diese schnelle Assessments dauern 2-6 Wochen und bieten einen tollen einstieg in weitere disruptive oder evolutionäre Innovationsschritte.

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