New Mittelstand Community

View Original

Wie Nachhaltigkeit die Zukunftsfähigkeit des deutschen Mittelstands prägt

Jetzt wissen wir. Also handeln wir. Sustainability - Live it or die! Ein Gastbeitrag von Robert Gierke, Gründer von PURENESSITY, New Mittelstand Co-Pilot, Corporate Dropout mit 14 Jahren Erfahrung im Globalen Marketing bei adidas, Factory Berlin Sustainability Circle Lead.

Quelle: New Mittelstand

Das deutschsprachige Unternehmertum schreibt eine lange Geschichte von sozialer Verantwortung. Unternehmen im Stiftungseigentum-Form wie Zeiss oder Bosch waren schon im 19. Jahrhundert kurz nach der industriellen Revolution sehr sozial orientiert. So haben sie Wohnungen und Betriebssportanlagen für ihre Arbeiter gebaut, medizinische Versorgung organisiert, sich für Kultur- und Kunstprojekte engagiert und für einen lokalen gemeinschaftlichen Zusammenhalt gesorgt. 

In neuerer Zeit, seitdem Startups im deutschen Raum präsent sind, schneiden Mittelständler in den Punkten Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Vergleich zu Startups durchschnittlich immer noch deutlich besser ab. Eine schleichende Selbstzufriedenheit aber ist dafür verantwortlich, dass der deutsche Mittelstand in Hinsicht auf Nachhaltigkeit seine führende Position in der Welt verloren hat. Kurzum, wir sind auf keinem guten “nachhaltigen Weg” in die Zukunft. 

Das englische Wort “Sustainability”, auf Deutsch “Nachhaltigkeit”, wird im englischsprachigen Raum im Sinne von sowohl sozialen als auch umweltbezogenen Faktoren verstanden. Im deutschsprachigen Raum bringt man mit Nachhaltigkeit vordergründig Umweltfaktoren in den Zusammenhang. Ein Grund hierfür ist sicherlich die lang etablierte deutsche Sozial- und Arbeitsgesetzgebung, welche viele Dinge wie Urlaubstage, Krankenversicherung und Rente bereits von staatlicher Seite regelt. Es wird auch ganz offensichtlich, dass sich die deutsche Gesetzgebung historisch mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz und Chancengleichheit weniger beschäftigt hat und diesem gesellschaftlichen Diskurs entsprechend hinterherhängt.   

Wenn wir uns die soziale Faktoren betrachten so galt die soziale Marktwirtschaft als gesamtwirtschaftliches und gesellschaftliches Erfolgsmodell von der Zeit des Wirtschaftswunders der sechziger Jahre bis in die frühen neunziger Jahre. Mitte der neunziger Jahre wurde allerdings der soziale Teil der Marktwirtschaft ironischerweise unter einer SPD- geführten Regierung sukzessive zurückgefahren. Die Hartz-Gesetze sind ein krasser Ausdruck dieser Entwicklung. Faktisch geht die soziale Schere im deutschsprachigen Raum immer weiter auseinander. 

Blicken wir auf die Umweltfaktoren

Quelle: FAZ, https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/corona-pandemie-und-klimawandel-was-jetzt-aus-klimaschutz-wird-16711889.html

Im Bereich Umwelt war Deutschland Anfang der neunziger Jahre ein globaler Klima-Pionier mit Bestnoten. Über die letzten 20 Jahre wurde diese führende Position leider verspielt. Der Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe 2011, Querelen in der Energiewende, der schleppende Ausstieg aus der Kohleenergie, Wasserstoff-Patente die seit den 40er Jahren in Schubladen schlummern und der Lobbyismus der deutschen Industrie (Automobilbranche, Energie, Maschinenbau) sind Hauptgründe für diesen Rückfall. Nur aufgrund des Einmal-Effektes der Covid19-Pandemie wird Deutschland seine Klimaziele für 2020 nun wahrscheinlich doch noch erreichen. Aber dies ist alles andere als ökologisch oder langfristig nachhaltig.

Foto: Marco Capovilla/FB, Quelle: Spiegel, https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/coronavirus-in-venedig-wasser-in-kanaelen-ist-ploetzlich-kristallklar-a-081096c6-295d-4ca9-b8b2-644ba9318715#bild-f6f2d174-f075-40e7-9e87-1f51755badf0

Die COVID-19 Situation bringt soziale und umweltbedingte Systemfehler gnadenlos zum Vorschein. Die Bilder von der schnellen Erholung der Natur - klare Luft und Fische in Venedigs Kanälen, Abhängigkeiten und Risiken globaler Lieferketten, Struktur und Leistungsfähigkeit medizinischer Systeme in einzelnen Ländern, Geschlechterrollen im Lockdown und die Rassenproblematik sind nur einige wenige Beispiel hierfür. Das Virus spült alle Fehlentwicklungen und Versäumnisse an die Oberfläche und macht diese für alle Welt sichtbar. Positiv gesehen wirkt die Pandemie als Katalysator für eine dringend nachhaltigere Ausrichtung von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. 

Warum Nachhaltigkeit jetzt?

Die kurze Antwort hierzu lautet: wegen des beschleunigten Wertewandels. Für die jungen Generationen Millenials und Generation Z (Gen Z)  werden ganz neue Faktoren ausschlaggebend, wenn es um Konsum- und Investitionsentscheidungen geht (Intercommotion Studie 2019). Selbiges trifft  übrigens auch auf die Wahl ihres Arbeitgebers zu (Randstand Employer Brand-Studie  2020). Von Unternehmen wird erwartet, dass sie stärker Verantwortung für gesellschaftliche Themen und Umweltaspekte übernehmen. Neben dem Klimawandel werden auch soziale Themen wie Diversität und Inklusion für Millenials und Gen Z an Bedeutung gewinnen. 

Auch der Finanzsektor hat die Zeichen der Zeit erkannt.  So wächst derzeit der Bereich der ESG Investitionen (E-nvironmental/ Umwelt; S-ocial/ Sozial; G-overnance/ Betriebsleitung;  auch Impact Investments genannt) rapide innerhalb aller Finanzinstrumente. Larry Fink, CEO einer weltweit größten Investmentfirmen Blackrock, schreibt daher auch regelmäßig offene Briefe an die CEOs der Welt, dass sie ihr Geschäftsmodell um einen wahren Purpose im Sinne sozialer und umweltbezogener Verantwortung strukturieren sollen, da sie sonst über die nächsten 20 Jahre obsolet werden. Er begründet dies mit dem größten globalen Wertetransfer aller Zeiten von 30 Billionen US Dollar von der Baby Boomer-Generation auf die Millenials und Gen Z. Und diese konsumieren und investieren wie gesagt eben anders und bewusster. Die Deutsche Börse hat gerade für 1,5 Milliarden Euro 80 Prozent der US-Datenfirma Institutional Shareholder Services (ISS) erworben, welche sich schon sehr früh auf ESG spezialisiert hat. Dies ist ein deutliches Zeichen für den Bedarf an Transparenz und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitskennzahlen und deren Bewertung in der Finanzindustrie.

Organisationen und Bewegungen wie B Corp, Conscious Capitalism, die Gemeinwohlökonomie, Doughnut Economics oder die Purpose Economy, welche auf Nachhaltigkeit abzielen und systemische Veränderungen in der Wirtschaft anstreben, wachsen derzeit sehr stark. Die Rolle des Business und Business Erfolg wird in einem neuen Narrativ definiert.

Was kann man tun?

Triple P Bottom Line: People + Planet + Profit

New Mittelstand wie auch die Zebra-Bewegung in der Startup-Szene definieren Geschäftserfolg wie die vier oben genannten globalen Bewegungen über die “Tripple P Bottom Line” - die Balance von “People”, “Planet” und “Profit”. Auf gut Deutsch heißt dies so viel wie ein ausgeglichener Geschäftserfolg basierend auf sozialen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Kennzahlen. Die B Corp-Zertifizierung bietet für die Stakeholder-Orientierung und die “Triple Bottom Line” ein transparentes und glaubwürdiges Bewertungs- und Prüfungssystem, welches auf Vergleichbarkeit und ständige Verbesserung der Nachhaltigkeitsstandards ausgerichtet ist. Mit fast 4000 B Corps weltweit ist B Corp das am schnellsten wachsende Qualitätssiegel für nachhaltige Unternehmen mit holistischem Ansatz. Man spricht daher auch vom B Movement. In Deutschland gibt es derzeit nur 36 B Corps. Mit der Gründung des B Lab Deutschland und über 1300 Firmen in der Pipeline, welche eine B Corp-Zertifizierung anstreben, wird diese Zahl jedoch in den nächsten Monaten und Jahren enorm steigen.     

Es gibt mittlerweile eine Reihe an Studien, die belegen, dass nachhaltige Unternehmen  beliebter und finanziell erfolgreicher sind und motiviertere Mitarbeiter haben. So haben Jagdish Sheth, Rajendra S. Sisodia und David B. Wolfe in ihrer Studie zu ihrem Buch “Firms of Endearment” herausgefunden, dass nachhaltige Firmen im 10 Jahres-Durchschnitt einen Portfolio-Wert von 9% über dem S&P Index haben.

Die Professoren John Kotter und James Heskett der Harvard Business School beschreiben in ihrer Studie zum Buch “Corporate Culture And Performance”, dass Purpose-orientierte, nachhaltige Unternehmen ihrer traditionellen Wettbewerber um den Faktor 12 in der Aktien-Performance übertreffen. Die Havas Brand Studie 2019 zeigt das nachhaltige, sinnstiftende Marken einen Purchase Intent (Kaufabsicht) von 70% erreichen gegenüber herkömmlichen Marken, welche hier nur 29% erreichen. Darüber hinaus können nachhaltige Marken ein Marken-Premium von 40% verlangen, verglichen mit nur 18% der herkömmlichen Marken. Eine Gallup Studie von 2017 zeigt ferner, dass Mitarbeiter in nachhaltigen Unternehmen doppelt so zufrieden und engagiert arbeiten wie der globale Durchschnitt. Außerdem ist es dreimal wahrscheinlicher, dass sie bei ihrem nachhaltigen Unternehmen bleiben wollen. Der Sinn unserer Arbeit ist folglich einer der größten Zufriedenheitsfaktoren.

Ein chinesisches Sprichwort besagt:

Jetzt wissen wir. Also handeln wir. Sustainability - Live it or die!

Es ist an der Zeit für die Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand wieder Verantwortung zu übernehmen und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft zu gestalten, so wie es unsere Urväter im 19. Jahrhundert getan haben. Getreu dem Motto des ehrbaren Geschäftsmanns:

“Unternehmertum verpflichtet!”