New Mittelstand: Neue Narrative für eine gute und nachhaltige Zukunftswirtschaft

Dieser Artikel ist zunächst auf LinkedIn von Evgeni Kouris veröffentlicht worden.

Einleitung

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Der erste LinkedIn-Post zu meiner Hypothese über den “New Mittelstand” liegt bereits ein paar Monate zurück. Daraufhin gab es eine überwältigende Menge von wertvollen Tipps und Feedback bei LinkedIn, sowie im Anschluss in vielen Einzeltreffen und -Gesprächen. Dafür möchte ich mich schon mal bei allen herzlichst bedanken! Denn genau darum geht es - die New-Mittelstand-Idee gemeinsam weiterzuentwickeln.

Ich glaube zu 100 Prozent an die Power der Community und behaupte, dass wir diese große Frage und Herausforderung um unsere Art des Wirtschaftens und Zusammenlebens nur gemeinsam adressieren können. Daher habe ich mich entschlossen die Inhalte hier Stück per Stück zu verarbeiten und gemeinsam mit allen, die auch an dem Thema interessiert sind — den Mittelstand neu zu erfinden bzw. ein besseres Modell zwischen Start-ups und Konzernen zu finden: den New Mittelstand — hier zu diskutieren.

Meine Erfahrungen und Motivation für diese Diskussion

Auf der Suche nach einer neuen, gesunden Form des Wirtschaftens sowie einer positiven Zukunftsvision habe ich bereits, wie vielleicht viele von euch auch, schon diverses ausprobiert. Angefangen bei meinem ersten Job bei der Medical Products Certification der TÜV Group. Dort habe ich es bereits genossen, in einem kleinen, smarten und agilen Team innerhalb eines großen Konzerns zu manövrieren und innovative Ideen durchzusetzen. Das war damals, in 2003, wohl das erste “Stück Java Code”, das durch mich die Konzern-Umgebung betrat und das Enterprise-System in Lotus Notes und SAP aufmischte... laut meiner Information läuft dieses “Stück Code” dort in einer abgewandelten Form nach über 15 Jahren wohl immer noch.

Nach dem Abschluss des Informatik & BWL Studiums ging es für mich dann zur Boston Consulting Group, wo ich gemeinsam mit der Tochter BCG Platinion (wiederum in einer kleinen, verrückten Mannschaft, damals aus 40 Leuten und heute ca. 10x größer) aus der Helikopter-Perspektive bei einigen der größten Transformationen in Europa und Russland dabei war. Ich liebte es, dort den besten Teams und Manager*innen zu helfen, um sich auf Vorstandsebene mit ihren smarten Ideen durchzusetzen (“bottom-up”) und so letztlich das Beste für die Konzernstrategie durchzusetzen (“bottom-up” + “top-down”).

Anschließend habe ich als Start-up-Gründer eines B2B-Start-ups - Gamewheel.com - die Seiten gewechselt und darf nun als Community Builder und selbständiger Berater für Transformation und Innovation eben meiner größten Passion nachgehen:

Menschen dabei zu helfen, innovative Ideen in kleinen und großen Strukturen zum Wohle der Menschheit umzusetzen. Oder auf Englisch: “Do Well, While Doing Good”.

Ich hoffe, dass ich mit viele von euch mit von dieser Mission und diesen einleitenden Worten begeistern konnte, um zum einen weiterzulesen und zum anderen in den Kommentaren eure Ansichten und Erfahrungen teilen, damit wir alle gemeinsam auf noch bessere Ideen kommen.

Aktuelle Herausforderungen des Mittelstands

Doch bevor wir nun endlich loslegen, noch ein paar Worte zum Thema New Mittelstand beziehungsweise warum ich glaube, dass wir den Mittelstand neu erfinden müssen.

Ich habe mir in den letzten 7 Jahren die Frage gestellt, wie ich mir eine positive Vision der Zukunft vorstellen kann und was dafür erforderlich wäre, damit diese auch in der Praxis funktioniert.

Erst dachte ich, dass wir mit Start-ups die Welt besser machen können. Doch mit der Zeit ist mir klar geworden, dass ich weder mit dem Modell der Start-ups noch mit dem Modell der großen Konzerne so richtig zufrieden bin.

Steve Jobs (R.I.P.) bei der Vorstellung vom iPad

Steve Jobs (R.I.P.) bei der Vorstellung vom iPad

Was gab es noch für Alternativen? Gibt es einen dritten Weg zwischen Start-ups und Konzernen?

Nun, als Musiker und riesiger Apple “Fan-Boy” der ersten Stunde und damit natürlich als Steve Jobs Fan (R.I.P.) konnte ich mich an dieses faszinierende Slide erinnern, das er damals bei der Vorstellung des iPads gezeigt hat:

Inspiriert von dieser Darstellung habe ich mir überlegt, welches Konstrukt genau wohl zwischen Start-ups und Konzernen liegt, das die Vorteile der beiden kombiniert und gleichzeitig ein paar Kernelemente (wie Nachhaltigkeit, Ethik, Ownership, etc.) noch deutlich besser macht? Dabei dachte ich immer wieder an den Mittelstand und so bin ich zur Hypothese gelangt, dass wir dringend den Mittelstand neu erfinden müssen — daher New Mittelstand.

Bekanntlich ist ein gesunder Mittelstand unabdingbar für das stabile Funktionieren unseres Wirtschaftssystems und unserer Gesellschaft.

Doch gerade die Unternehmen, die eins das Rückgrat der Deutschen Wirtschaft bildeten, stehen heute mit dem Rücken zur Wand.

Viele typische Werte der Mittelstandsunternehmen sind geradezu aktueller, denn je. Die folgenden 10 Punkte basieren auf einer Auflistung, die sich im englischen Wikipedia-Artikel findet und den den Mittelstand charakterisiert und abgrenzt. Bezeichnender Weise fehlt sie sowohl im deutschen Wikipedia-Artikel und vielleicht auch im Bewusstsein vieler Menschen:

  1. Ethik, Werte & Kultur

  2. Emotionale Bindung und Zweckbestimmung

  3. Kontinuität über Generationen

  4. Langfristige Ausrichtung und Nachhaltigkeit

  5. Unabhängigkeit & Flexibilität

  6. Schlanke Hierarchien und Agilität

  7. Investition in die Belegschaft

  8. Soziale Verantwortung und Wirksamkeit

  9. Eigenverantwortung und starke regionale Bindung

  10. Innovationskraft und Disruptivität

Wenn man über die Herkunft dieser Aufzählung allerdings nicht kennen würde, könnte man glatt annehmen, dass diese aus einer Broschüre über New Work oder Sozialunternehmertum stammt. Bewährtes gerät leider häufig in Vergessenheit und es werden eher neue Dinge erfunden, anstatt sich an die Wurzeln zu erinnern.

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Doch dies soll keine Ode an den Mittelstand werden. Denn wenn alles so einwandfrei funktionieren würde, müsste ich dieses Thema gar nicht aufbringen. Der Mittelstand-Ansatz hat offensichtlich in der aktuellen Zeit mehrere Probleme, die zu adressieren sind (im Bild oben entsprechend rot markiert):

  • Nachwuchsproblem: Laut zahlreichen Untersuchungen und Studien zu diesem Thema ist insbesondere in Familienunternehmen die Frage der Nachfolge ein großes Problem. So weist auch dieser Artikel der Financial Times darauf hin, dass ca. 100.000 Unternehmer*innen in den nächsten 2 Jahren planen in Rente zu gehen und darum eine Nachfolge suchen. Gleichzeitig leidet Deutschland seit 1970 an sinkenden Geburtenraten und die Generation XY findet den klassischen Mittelstand oft nicht mehr attraktiv.

  • Evolutionäre Innovation: Die Mittelstandsfirmen agieren oft in einem speziellen, engen Marktumfeld und sind oft Spezialisten, die sich eher evolutionär weiterentwickeln. Dabei werden begrenzte Geldmengen in Innovation gesteckt und die Risiken zum Teil sehr genau abgewogen. Parallel bilden sich allerdings mit enormen Mengen Risikokapital und auf Basis neuer exponentiell-wachsenden Technologien neue Plattformen und Geschäftsmodelle, die eine disruptive Wirkung auf Märkte haben. Mit solch einer schnellen Innovation können viele Mittelstandsfirmen nicht mithalten.

  • Unbeweglichkeit durch Größe & hohe Standards (im Vergleich zu Startups): Die neuen exponentiellen Technologien und die distruptiven, performance-getriebenen Geschäftsmodelle machen oft auch vor Menschen, traditionellen Werten, rechtlichen Rahmen oder ethischen Erwägungen kein Halt. Solches riskantes Vorgehen widerspricht im Kern der Kultur der Mittelständler*innen. Sie setzen eher auf evolutionäres, werte-getriebenes Wachstum. Gleichzeitig sind viele der Mittelständler*innen bereits stark gewachsen und sind daher nicht in der Lage die ursprüngliche Flexibilität und Agilität zu leben.

  • Hohe Opportunitätskosten: Wie zuletzt im Gespräch mit Simone Menne (Managerin und Aufsichtsrätin mehrerer deutscher Großunternehmen wie BMW, Deutsche Post) im Rahmen von “Beyond Bauhaus” besprochen, waren sich alle einig: klein ist fein und Agilität und Innovation funktioniert in kleinen Strukturen viel besser und schneller. Doch oft agieren Mittelständler*innen bereits wie große Konzerne und zeigen viel Widerstand “sich selbst neu zu erfinden” — denn im ersten Schritt, verliert man auch bei Innovation Umsatz (um diesen dann erst später wieder zu finden).

Die Kernfrage von New Mittelstand

Wie lassen sich die oben aufgezählten Herausforderungen überwinden und Wettbewerbsfähigkeit der Mittelständer*innen durch eine innovative Strategie & Transformation im digitalen Zeitalter erhalten?

Genau dieser Frage möchte ich in dieser Beitragsreihe nachgehen. Der nächste Artikel wird sich mit dem Thema Innovationsstrategie auf Basis des angepassten ‘Three Horizons Modells’ befassen, das ursprünglich von McKinsey vorgestellt wurde.

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Nächster Beitrag — #NewMittelstand: "Innovating Slow & Fast"

Dabei möchte ich vor allem folgende Fragen adressieren:

  • Was ist das ‘Three Horizons Modell’ und warum sind Unternehmen dauerhaft innovativer, die dieses Modell in der Strategie sauber verankert haben?

  • Wie kann man dieses Modell auf die Mittelstandsentwicklung im Digitalen Zeitalter anwenden und an welchen Stellen muss man es adaptieren?

  • Welche strategischen Stoßrichtungen gibt es, um dieses Modell sauber bei der Digitalen Transformation in der Praxis zu implementieren?

In diesem Sinne - danke für die Aufmerksamkeit und bis bald hier auf LinkedIn.

Auf jegliche Anregungen, Feedback, Themenvorschläge und Kommentare freue ich mich sehr!

Evgeni Kouris